UTA-VAIA-WB 26.10.2018

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    • #12892
      Kaltlufttropfen
      Teilnehmer

      Moin Leute,
      zu allererst möchte ich mein Glas auf RETO erheben, welcher un ermöglichte, daß nach dem Total-Crash des Servers unser
      heißgeliebtes Turnier am heutigen Freitag in die 8.Herbstrunde starten kann!!!
      Das noch namenlose Hoch zwischen Island und Neufundland sollte auf RETO getauft werden, aber da ist ja nun der schöne
      Buchstabe Y dran und der Pate wohl auch schon vergeben.
      Naja, 2019 kann dann vielleicht ein schönes Sturmtief den Namen RETO tragen…

      Doch nun zum Wetter, ein so interessantes WE haben wir seit mindestens 5 Wochen (da durfte ich ja auch „Wetter-Talker“ sein ;-))
      nicht mehr!
      Und so wie vor 5 Wochen der seit April währende 2018er Dauersommer zum ersten Mal einem ersten ernsthaften Herbsteinbruch
      weichen mußte, gibt an diesem WE der Spätherbst mit ersten winterlichen Essenzen in den Bergen seinen Einstand.

      Zyklonale Protagonist(inn)en sind die „Tiefdruck-Damen“ UTA (aktuell etwa über dem Skagerrak) und VAIA (dieser merkwürdige
      Mädchenname ist mir noch nie untergekommen, aber sie wird kommende Nacht unweit von „Malle“ geboren).
      VAIA ist das Produkt positiver Vorticityadvektion eines werdenden LW-Trogs, welcher sich von den Britischen Inseln über die
      Biscaya und die Iberische Halbinsel bis nach Marokko „bohrt“.
      Zwischen UTA und VAIA liegt nun eine Tiefdruckrinne über unseren Köpfen, welche zum einen UTAs Kaltfront ausbremst und zum
      anderen im weiteren Verlauf stark frontogenetisch wirken sollte. So kommt die aktuell noch an der Küste liegende KF von UTA nur schleppend südostwärts voran und erreicht unsere Turnierstädte Berlin und Leipzig wohl erst gegen Mitternacht. Ob sie etwas Wasser
      aus ihren Wolken aussondert, ist noch zweifelhaft, sicherer ist eher, daß es in der 2.Nachthälfte Wolkenauflockerungen durch postfrontale
      Subsidenz gibtund diese in Berlin eher als in Leipzig.
      Der morgige Samstag findet dann im synoptischen „Niemandsland“ zwischen UTA und VAIA statt, will heißen, daß es zwischen den im
      wahrsten Sinne des Wortes „aufstiegsorientierten“ Tiefdruck-Damen auch mal kompensatorisches Absinken geben muß. So gibt es
      morgen in Berlin und Leipzig wohl einen Sonne-Wolken-Mix (wobei die Wolken bei weitem überwiegen sollten) und die 10°C werden
      wohl eine eher unüberwindbare Hürde. Wenn es nicht etwas unbedeutendes „Gepiesel“ (ob Marke 5, 6 oder gar 8, ganz wurscht, ne wirkliche Menge kommt da nicht zustande) gibt, bleibt es trocken, während sich die Alpensportsfreunde schon auf Übergreifen der
      Aufgleitniederschläge von VAIA vorbereiten sollten, welche in höheren Lagen als SCHNEE fallen.
      Bis Sonntag 12 UTC verlagert sich dann VAIA nach Genua nebst Ausläufer bis Österreich.
      Meine Ausführungen beziehen sich auf den 06er GFS-Lauf von heute. Natürlich habe ich auch die anderen Modelle geguckt. Und da gibt
      es am Sonntag Unterschiede bezüglich der Nordwestausweitung der Aufgleitniederschläge von VAIA.
      Und außerdem sollte am Sonntag -nach vorübergehender Flaute- der Wind wieder anständig zulegen, diesmal aber aus NE -Böen
      inklusive.
      Ich denke mal, wer am Samstag für Berlin und Leipzig 2 mal 0 und Sonntag 2 mal 6 tippt, fährt nicht so ganz schlecht.

      Und Ausblick: VAIA entpuppt sich im weiteren Verlauf als Vb-Tief mit Westdrall: Will heißen, daß am Dienstag im Osten die 20°C
      und damit ein wohl allerletztes Feierabendbier im Freien ins Haus steht!
      Hätte es gern noch etwas ausführlicher gemacht, aber ich muß mich dann aufs Ohr hauen, weil Nachtdienst…

      Gruß in die Runde, viel Spaß beim Tippen und nochmals 10000 facher Dank an Reto…

      Michael

      • Dieses Thema wurde geändert vor 5 Jahren, 5 Monaten von Mammatuscloud.
    • #12893
      Heiko
      Moderator

      Hallo zusammen,

      und vielen Dank an Michael für die schöne Wetterbesprechung zu dem spannenden letzten Oktoberwochenende!

      Ich bin mal auf die Böen, die Sonnenscheindauer und den Niederschlag (morgen doch ein paar Tropfen bzw. am Sonntag lange trocken?) gespannt. 🙂

      Viele Grüße und allen ein schönes Wochenende,
      Heiko.

    • #12910
      Pistotnik
      Teilnehmer

      Schönen Sonntag allerseits!

      Nachdem das aktuelle Tiefdruckgebiet doch alle Arten von Wetterextremen im (erweiterten) Alpenraum bringt, die man in diesem Ausmaß und vor allem in dieser gleichzeitigen Vielzahl nur selten erlebt, bringe ich hier eine Zusammenfassung der bisherigen und erwarteten weiteren Ereignisse (ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Ergänzungen werden gerne entgegengenommen!).

      (1) Temperaturgegensätze:

      Bemerkenswert ist vor allem die Schärfe der Frontalzone, die seit gestern (Samstag) nochmals erheblich zugenommen hat, unterstützt durch die Barrierewirkung der Alpen und durch effektive Niederschlagsabkühlung an ihrer Nordseite. So sanken die Temperaturen in der Schweiz, in Süddeutschland und Westösterreich bei Regen und späterem Schneefall in der Nacht auf heute verbreitet bis gegen 0°C, während es in Kroatien und Bosnien-Herzegowina mancherorts Tropennächte sogar im Landesinneren gab (z.B. Tmin von 21°C in Sanski Most und Banja Luka). An der Vorderseite des starken Tiefs wird mit einem „Low-Level Jet“ (rund 25 m/s = 90 km/h Mittelwind in 850 hPa) extrem warme und auch feuchte Adrialuft östlich der Alpen vorbei in die Pannonische Tiefebene geführt. Über Nacht konnte sich wieder eine dünne Kaltlufthaut südwärts ausbreiten. Unterstützt durch Sonneneinstrahlung und turbulente Erosion der Kaltluft unter dem Low-Level Jet, ist die Warmluft seit heute Früh wieder auf dem Vormarsch, doch gestaltet sich dieser zäher als die Vorhersagemodelle (vor allem die grobmaschigen) vorsehen. Aktuell (10 UTC) erstreckt sich die scharfe Luftmassengrenze mit mehr als 10K Temperaturunterschied auf wenigen Zehnerkilometern entlang der slowenisch-kroatischen Grenze und weiter quer über Ungarn:

      2m Temperaturen um 11 UTC
      (Quelle: Kachelmannwetter)

      Sehr schön wird die Warmfront auch durch die Radiosonden-Aufstiege beidseits der Alpen von 00 UTC charakterisiert. Beispiele:


      München: gesättigte Kaltluft unterhalb von 3 km Höhe, aber massive Warmluftzufuhr (man beachte die starke Rechtsdrehung des Windes mit steigender Höhe)


      Zagreb: der starke, warme Low-Level Jet reicht fast bis zum Boden herab

      Spannend wird die Frage, wie rasch sich die Warmluft östlich der Alpen heute tagsüber bis zum Boden durchsetzt, auch für die Wiener Turnierwertung. Aktuell habe ich große Zweifel, dass der Warmluftdurchbruch schon heute erfolgt – wahrscheinlich wird das erst morgen (Montag) der Fall sein. Die Spieler mit niedrigem Tmax – interessanterweise sind da auch viele MOSse darunter, Kompliment an die Entwickler! – dürften hier also abräumen.

      Östlich der Alpen, speziell in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Ungarn, werden in den nächsten Tagen wohl reihenweise Temperraturrekorde für diese Jahreszeit fallen mit erwarteten Tropennächten und Tageshöchstwerten bis nahe 30°C. Noch unklar ist, wie weit sich der Rand dieser enormen Warmluftblase am Montag auch noch nach Österreich, Tschechien oder sogar Bayern, Ostdeutschland und Polen vorarbeiten kann.

      (2) Ergiebige Stauniederschläge:

      Extreme Stauniederschläge haben gestern (Samstag) an der Alpensüdseite eingesetzt, vor allem in den Karnischen Alpen, wo am Abend und über Nacht auch stundenlange Gewitterstraßen eingelagert waren. Die Station des Hydrographischen Dienstes Kärnten am Plöckenpass an der Grenze zu Italien hat vom Niederschlagsbeginn gestern Früh bis heute Früh ca. 300 mm Regen in 24 Stunden gemessen (den genauen Wert kann ich morgen nachliefern, wenn ich im Büro auf die Rohdaten zugreifen kann). Inzwischen (11:30 UTC) hält sie schon bei 343 mm Regen seit Niederschlagsbeginn (die Grafik wird laufend aktualisiert und verfällt daher allmählich):

      Die Straße auf den Plöckenpass ist, so wie mehrere andere Straßen in der Umgebung, längst wegen Überflutungen und Erdrutschen gesperrt. Da der erste Tag dieses Südstau-Ereignisses bereits wesentlich mehr Niederschlag gebracht hat als erwartet und es noch zwei Tage pausenlos weiterregnen wird, scheinen die Vorbereitungen in Kärnten, wo sich die Einsatzkräfte und die Bevölkerung gegen 30- bis 100-jährliche Hochwasserwellen an den größeren Flüssen wappnen, nicht übertrieben. Die Vorgeschichte war recht trocken und der Boden konnte die ersten 50-100 mm relativ problemlos puffern, aber inzwischen rinnt fast alles sofort oberflächlich ab, und die zweite Starkregenwelle von morgen (Montag) Mittag bis Dienstagfrüh wird extrem kritisch werden.

      Die anderen Stationen, die das klimatologische Niederschlagsmaximum im Luv der Karnischen und Julischen Alpen normalerweise auch abdecken, lagen bisher offenbar außerhalb der Zugstraßen der stärksten Gewitter und haben weniger Niederschlag gemessen. Vogel in Slowenien, normalerweise oft an der Spitze, hat bis heute Früh „nur“ 104 mm abbekommen. In Italien ist der höchste Wert, den ich bisher gefunden habe, 203 mm bis heute Früh in Soffranco (Region Belluno). Ich denke allerdings, dass es in Friaul einige Stationen mit ähnlichen oder sogar noch höheren Werten als am Plöckenpass geben könnte, deren Daten allerdings nicht frei zugänglich sind.

      Falls jemand die Situation in Kärnten, Österreichs südlichstem Bundesland, überwachen möchte, sind hier die relevanten Karten des Hydrografischen Dienstes:
      72-stündige Niederschlagssummen
      Abflussmengen der Flüsse und Bäche (Farbcodierung nach statistischen Wiederkehrzeiten)

      (3) Schneefall bis in tiefe Lagen:

      Durch die Niederschlagsabkühlung gingen die recht ergiebigen Niederschläge an der Frontalzone nördlich der Alpen in der Schweiz, Westösterreich und Süddeutschland zunehmend in Schnee bis in tiefe Lagen über. Vor allem in Schwaben und im Süden Baden-Württembergs bildete sich vielerorts eine mehrere Zentimeter dicke Nassschneedecke. Noch ergiebigere Schneefälle, wenn auch nicht ganz bis in die tiefen Täler herab, gab es in der Schweiz (Schneehöhen heute Früh). Gemäß dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung, das ein erstes Lawinenbulletin herausgab, sind in hochalpinen Lagen im Berninagebiet bis gestern (Samstag) Abend bis zu 60 cm Neuschnee gefallen, gefolgt von bis zu 120 cm weiterem erwartetem Neuschnee bis heute Abend.
      In tiefen Lagen taut die Schneedecke unter dem Vormarsch der Warmluft nun wieder ab.

      (4) Ein extremes lokales Sturmereignis:

      Kurz vor 03 UTC heute Morgen wurden die Feuerwehren rund um Ferlach (Kärnten, nahe der slowenischen Grenze) alarmiert. Ein plötzlicher Sturm hatte unzählige Bäume geknickt, Stromleitungen niedergerissen und die Dächer von 15 Häusern schwer beschädigt:


      (Quelle beider Bilder: Bezirksfeuerwehrkommando Klagenfurt-Land)

      Was war passiert? Da es in Ferlach gleichzeitig extrem warm wurde mit einer Temperaturspitze von 19°C, lag ein plötzlicher Föhndurchbruch nahe. Das Hintergrund-Windfeld war mit ca. 20 m/s (70 km/h) in 850 hPa allerdings ziemlich unauffällig und daher kaum alleine für solche extremen Böen geeignet.
      Die Radardaten zeigten kurz vorher ein starkes Echo knapp jenseits der slowenischen Grenze, das um 02:40 UTC sogar ein paar Blitze hervorbrachte. Die Reste dieser Konvektionszelle haben anschließend den Gebirgskamm der Karawanken, der den Grenzverlauf bildet, überstiegen, wobei die Verdunstungskälte des in die Föhnluft fallenden Restniederschlages diese extremen Fallwinde erzeugt haben dürfte.
      Das Phänomen, dass die Böigkeit von Südföhn deutlich erhöht wird, wenn Reste von Konvektion oder höheren Wolken mit fallendem Niederschlag über den Gebirgszug hinweg auf die Leeseite verfrachtet werden, ist vor allem aus der Schweiz, aber auch aus Innsbruck gut bekannt und wird dort „Dimmerföhn“ genannt. Weiter östlich in Österreich, wo Föhn meist unter antizyklonaleren Bedingungen und daher mit weniger Niederschlag oder gar Konvektion einhergeht, ist es hingegen ziemlich ungewöhnlich.
      Die Station in Ferlach maß bei diesem Ereignis eine Windspitze von 129 km/h. Im Zentrum des Fallwindes dürften die Spitzen aber noch deutlich höher gewesen sein. Dass ein halber Dachstuhl von einem Wohnhaus gerissen wird, passiert typischerweise erst im Bereich von 180 bis 220 km/h. Ironischerweise hatte ausgerechnet das Gebiet um Ferlach erst im Dezember 2017 einen ähnlich schweren Föhnorkan erlebt, obwohl es eigentlich noch deutlich auf der Luvseite des Alpenhauptkamms liegt und daher bei Südwind eher Stau als Föhn abbekommt. Erfahrungsgemäß greift der „Karawankenföhn“ vor allem dann durch, wenn der Höhenwind nicht nur stark genug ist, sondern auch genug Westkomponente hat.

      (5) Organisierte Gewitter:

      Die Luft, die vom Mittelmeerraum Richtung Alpensüdseite und Pannonische Tiefebene geführt wird, ist nicht nur extrem warm, sondern auch ausgesprochen feucht mit Taupunkten bis nahe 20°C an der noch warmen Adria und vorhergesagten Taupunkten bis 15°C sogar im Landesinneren. Unter dem Einfluss der starken Höhenwinde könnten sich zu ungewöhnlich später Jahreszeit nochmals gut organisierte und heftige Gewitter bilden. Bereits für heute Nachmittag und Abend ging ich von der Möglichkeit einzelner Superzellen im östlichen Alpenvorland aus (sagt jedenfalls meine ESTOFEX-Vorhersage). Da sich der Vormarsch der Warmluft langsamer gestaltet als angenommen (siehe oben), habe ich inzwischen leichte Zweifel an diesem Szenario. Es folgen allerdings noch zwei weitere Tage mit Chancen. 😉
      Die höchste Unwettergefahr herrscht sicher morgen Abend und Nacht im nördlichen Adriaraum, wenn die Kaltfront des Tiefdruckgebietes nordostwärts zieht und gleichzeitig von einem außerordentlich starken Vorticity-Maximum in der Höhe überlaufen wird. Unmittelbar vor der Front nimmt das Windfeld noch einmal drastisch auf 35-40 m/s (110-140 km/h) in 850 hPa zu. Die Lokalmodelle zeigen ein furchterregendes Szenario mit einer perfekt ausgebildeten Gewitterlinie, die ausgehend von den Apenninen über die Poebene und die nördliche Adria nach Slowenien und Kroatien ziehen soll. Sollte das auch nur annähernd so kommen, dann wären speziell in den küstennahen Gebieten beim Durchgang der Gewitterlinie verbreitet Orkanböen zu erwarten. Falls es durch die enorme Windzunahme unmittelbar vor der Kaltfront schon hinter den ersten Voralpen-Gebirgszügen Föhneffekte gibt, könnte so etwas Ähnliches passieren wie schon heute Früh in Ferlach und das Gebiet mit der Gefahr von Orkanböen auch in die Südalpen nach Friaul, Kärnten und Slowenien hineinreichen. Reste der Gewitterlinie können in der Nacht auf Dienstag jedenfalls noch Teile Österreichs mitnehmen und bis weit nach Ungarn ziehen.
      Am Dienstag soll schließlich hinter der Kaltfront noch ein scharfer Kurzwellentrog aus Südwesten nachfolgen, der mein Chaserherz schon jetzt höher schlagen lässt. 🙂 Der Wind wird immer noch aus Süden wehen und die Luft ist zwar etwas kühler und trockener als vor der Kaltfront am Montag, zusammen mit der massiven Hebung und der deutlichen Abkühlung in höheren Luftschichten sollte es aber für ein schönes Finale der Gewittersaison mit der Aussicht auf Superzellen im Südosten Österreichs und Westen Ungarns geben.

      Vier Tage Vollwetter vom Feinsten sind das jedenfalls im Alpenraum!

      viele Grüße,
      Georg

    • #12911
      Kaltlufttropfen
      Teilnehmer

      Vielen Dank, Georg, für Deine schönen Ergänzungen!

      Wenn`s dumm kommt. könnte Berlin heute trocken bleiben…

      Gruß in die Runde

      Michael

      P.S.: Ab 18 Uhr spielt die Musik in Hessen 😉

    • #12912
      Pistotnik
      Teilnehmer

      Kleine Ergänzung: Derzeit dürften allfällige Niederschläge in etwas höheren Lagen von Oberbayern bis Böhmen, also v.a. im Bayerwald, sogar als Eiskörner fallen. Außerdem können der vorhergegangene nasse Schneefall und anschließende Reifbildung in der gesättigten Luft zu Schneebruch führen. Ziemlich erstaunliche Temperaturschichtung für Oktober:

      An der Alpensüdseite haben sich die Gewitterstraßen mit den stärksten Regenfällen nun etwas weiter Richtung Westen nach Venetien verlagert. Dort ist in den letzten 24 Stunden am meisten Niederschlag in Agordo mit 261 mm und in Sappada mit 258 mm gefallen. Aktuelle Daten hier:

      ARPA Veneto

      In Kärnten wird unterdessen die Evakuierung von einigen tausend Menschen vorbereitet. Die Gail nähert sich der 10-jährlichen Hochwassermarke und sieht derzeit so aus:


      (Quelle: Florian Lederer / ORF)

      Die anderen Flüsse reagieren dank der günstigen Vorgeschichte erst langsam und sind noch im „grünen Bereich“. Aber wie schon erwähnt, mit der zweite Starkregenwelle von Montag auf Dienstag werden alle Reserven, auch die durch Ablassen der Stauseen künstlich geschaffenen, bald zu Ende gehen. Zum Glück haben alle ihre Lektionen aus dem letzten extremen Hochwasser im Herbst 2012 gelernt. Die mehrtägige Vorbereitungszeit wird jetzt hoffentlich dabei helfen, dass alles geordnet abläuft.

      Und nicht zuletzt noch zur Temperatur: An einzelnen Stationen in der Pannonischen Tiefebene (Bosnien-Herzegovina, Serbien, Ungarn) wurden 25°C erreicht. Morgen sollte es noch ein paar Grad höher hinaufgehen. Ich bin gespannt, ob es irgendwo für einen Hitzetag reicht. In der rumänischen Walachei wurden heute schon bis zu 29°C erreicht.

      viele Grüße,
      Georg

    • #12913
      Pfingstochse
      Teilnehmer

      Hallo Georg,

       

      vielen Dank für die sehr umfangreichen und interessanten Informationen!!! Möge es bei den „Auswüchsen“ des Wetters bitte nur bei Sachschäden bleiben!!! Viele Grüße….Ralf

    • #12914
      Snab_LE
      Moderator

      Danke Georg für diese spannenden Ergänzungen zu einem noch viel spannenderen Thema. 🙂

      Das Tief, dass im Mittelpunkt steht, erlebt in den kommenden 24h einen synoptisch wirklich beeindruckenden Aufstieg zur Sturmzyklone. Ohnehin ist ein Charakteristikum dieser außergewöhnlichen Tiefdruckentwicklung die recht weit westliche Lage des amplitudenstarken Troges, sodass die Vorderseite mit kräftiger und divergenter Südströmung genau vom Atlas über das warme Mittelmeer in den Alpenbogen zeigt. Somit wurde es unlängst gegen 18UTC als Leetief am Atlasgebirge geboren und führt seitdem auf seiner Südseite Polarluft wieder beschleunigt gen Osten. Gleichzeitig findet sich das Tief in verstärkungsgünstiger Lage: einerseits im linken Auszug eines sich intensivierenden Jetmaximums über dem nördlichen Afrika, andererseits im rechten Einzug des alten und zunehmend antizyklonal gekrümmten Jets über den Westalpen. Zeitgleich gewinnt die Randwelle mit höhenkalter Luft über dem Mittelmeer zunehmend an Amplitude, sodass die positive Vorticityadvektion auf der Vorderseite im Zuge des Nordkurses sogar noch zunehmen kann (zunächst aber durch stark negative Schichtdickenadvektion ein wenig kompensiert wird).
      So fällt der Kerndruck bis binnen 12h bis morgen 06UTC um 12hPa auf 987hPa Kerndruck und liegt dann vor der Küste Genuas.

      GWL Mo, 06z

      Jet Mo, 06z

      Vorticityadvektion Mo, 06z

      Am westlichen Alpenbogen kommt dann im Tagesverlauf noch die Blockadewirkung des Gebirges in südöstlicher Höhenströmung zu Hilfe, während auch die quasigeostrophische Dynamik noch besser ausschaut. Die Folge ist (hier nach Super-HD 4x4km, 12z) eine weitere Intensivierung im Lee auf einen Kerndruck unter 980hPa und eine anschließende Verlagerung des Tiefs (ohne weitere Intensivierung, da es nun mehr ins Zentrum des Troges gerutscht ist) gen Norden. Da auf der Vorderseite afrikanische Tropikluft, die über dem Mittelmeer mit Feuchte angereichert wurde, gen Alpenbogen gedrückt wird, kommt das (teils konvektive) Vollwetter zustande, das Georg schon so ausführlich beschrieben hat.

      SHD 4x4km, Luftdruckanimation

      Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/modellkarten/swisshd-eu/schweiz/luftdruck/20181030-0000z.html

      Die Warmluft schafft es auch sehr weit nach Norden, gleitet im Süden und Osten Deutschlands aber zunächst auf die mächtige Kaltluftschicht im Lee der Alpen auf. Erst mit Föhndurchbruch wird die Warmluft im Tagesverlauf nördlich der Alpen und anderer strömungssenkrechter Mittelgebirge (u.a. Erzgebirge) in die kalte Grenzschicht eingemischt und sorgt hier für einen markanten Temperaturanstieg für spätsommerliche Wärme mit Temperaturen über 20°C.

      Besonders spannend für Leipzig wird dieser Prozess am Montagabend. Die herannahende Warmfront führt hier im Laufe des Montags zu einem fortschreitenden Abbau der Kaltluftmächtigkeit, die sich aber dank Nordostwinden aus dem kühlen Skandinavien noch standhaft zeigt. Dadurch baut sich Richtung Montagabend eine stolze, mehr als 10K mächtige Inversion bis ins Niveau 850hPa auf, während sich leeseitig des Gebirges eine Tiefdruckrinne und folglich oberhalb der Inversion ein Low-Level-Jet mit Geschwindigkeiten von 50-70kn ausbildet. In dessen Konsequenz kommt es zunächst auf den Erzgebirgskämmen, später in den engen strömungsparallelen Tälern und generell Leeseitig des Kammes zu kräftigem Wind mit Böen bis Bft.10/11. Mit Verlagerung der Rinne gen Norden wird dann auch im sächsischen und brandenburgischen Tiefland die Höhenwarmluft ins Bodennivau gemischt, wobei die Temperatur in Leipzig nach 5°C am Abend binnen 2h auf 16-18°C ansteigen soll (jedenfalls nach dem Super-HD 12z, Modellunsicherheiten zur Westausweitung des Leeeffekts bestehen noch)
      Hierbei  Beeindruckende Prognose-TEMPS und Karten jedenfalls, das lässt das synoptische Herz höher schlagen. Leider hat in Leipzig diese Woche niemand das Vergnügen, den Montagabend in seiner Analyse-Wetterbesprechung am Insitut zu analysieren, aber im Nachbarforum der Wetterzentrale wird es sicher allerhand Meldungen dazu geben: http://www.wzforum.de/forum2/read.php?2,3584284

      Quelle:  https://kachelmannwetter.com/de/modellkarten/sui-hd/2018102812/c7c346859aa7e82a4697140584e119c1/windmittel-850hpa/20181029-2300z.html

      Quelle:  https://kachelmannwetter.com/de/modellkarten/sui-hd/2018102812/c7c346859aa7e82a4697140584e119c1/temperatur/20181029-2300z.html

      Quelle:  https://kachelmannwetter.com/de/modellkarten/sui-hd/2018102812/c7c346859aa7e82a4697140584e119c1/temperaturgradient-1km/20181029-2300z.html

      Quelle:  https://kachelmannwetter.com/de/modellkarten/sui-hd/2018102812/c7c346859aa7e82a4697140584e119c1/windboeen-24std/20181029-2300z.html

       

      PS: Zur Beobachtung solcher Ereignisse und künftig auch der Turnierwochenenden möchte ich hier einmal die Datenveröffentlichungen unserer neuen AG zur Fernerkundung des arktischen Klimasystems erwähnen Momentan arbeitet nur ein Doppler-Windradar zur Profilierung des Grenzschichtwindprofils am LIM, später wird aber auch das Mikrowellenradiometer zur Profilierung der Temperatur/Feuchte/Flüssigwassergehälter in der unteren Troposphäre von seiner Expedition zurückkehren. Daten finden sich hier: https://home.uni-leipzig.de/remsensarctic/index.php?lang=de&content=ql

       

      • Diese Antwort wurde geändert vor 5 Jahren, 5 Monaten von Snab_LE.
    • #12916
      Heiko
      Moderator

      Hallo,

      vielen Dank an Georg Pistotnik und Snab_LE für Eure tollen und spannenden Ergänzungen!

      Langeweile kommt bei solchem Wetter wahrlich nicht auf! 🙂

      Schön, dass auch Wetter außerhalb des Turnierzeitraumes und der Turnierstädte bei uns „auf dem Schirm“ ist.

      Viele Grüße,
      Heiko.

    • #12923
      Kaltlufttropfen
      Teilnehmer

      Vielen Dank Oscar für den wahrhaft Synoptischen Hochgenuß vom Allerfeinsten!!!

      Gruß in die alte Heimat

      Michael

    • #12946
      Pistotnik
      Teilnehmer

      Hallo Oscar,

       

      Danke für die schöne Aufbereitung des weiteren Werdegangs dieses außergewöhnlichen Tiefdruckgebietes! Der Vormarsch der Warmluft ist in der Tat beeindruckend, vor allem wenn man die dafür eigentlich denkbar ungünstige Jahres- und Tageszeit berücksichtigt. Vor kurzem, um 22 UTC, ist sie in Prag durchgebrochen, wo die Temperatur quer über die Stadt von 7 auf 17°C stieg:

      Temperaturen Tschechien 22 UTC

       

      Auch in Lichtenhain am Erzgebirge ist schon eine Insel mit 16°C erkennbar. In den nächsten Stunden wird die Warmluft das ganze Erzgebirgsvorland erfassen. Wie du schon geschrieben hast, halte auch ich dabei dort Windspitzen zwischen 100 und 110 km/h für wahrscheinlich, da das Windmaximum aus 850 hPa als Böen bis zum  Boden durchschlagen dürfte. In Leipzig würde ich den Durchbruch der Warmluft (in etwas abgeschwächter Form) um etwa 04 UTC annehmen, viel Spaß mit diesem Ereignis! 🙂

       

      In Österreich ist der Wärmeschub nun abgeschlossen. Bis zum späten Abend sind die Temperaturen im nördlichen Alpenvorland verbreitet auf 20 bis knapp 24°C gestiegen. Bis etwa 2006 hätte ich solche Temperaturen in einer Oktobernacht für schier unmöglich gehalten, aber seither hat der beschleunigte Klimawandel ja schon einige neue Maßstäbe gesetzt.

       

      An der Vorderkante des Niederschlagsbandes, das nun die Alpen überquert – es handelt sich dabei um die (Höhen-)Kaltfront aus Südwesten – treten quer über Österreich derzeit heftige Fallwinde auf und sorgen neben einem beginnenden Temperaturrückgang auch für umgestürzte Bäume, Straßensperren und Stromausfälle. So wie gestern bei dem beschriebenen extremen lokalen Sturm in Ferlach handelt es sich wieder um „Dimmerföhn“, also einer Vermischung von Föhn und Fallwinden durch Verdunstungskälte fallenden Niederschlages. Heute tritt dieses Phänomen geradezu flächenhaft auf.

       

      Interessant ist dabei auch die Transformation der Kaltfront. Die ursprüngliche Kaltfront aus Südwesten, die etwa für die schweren Gewitterstürme in Italien verantwortlich war (leider auch mit bislang mnindestens 7 Todesopfern), übersteigt den Alpenbogen nur noch in der Höhe, verstärkt dabei mittels „Dimmerföhn“ die vertikale Durchmischung und erleichtert morgen (Dienstag) tagsüber das Vordringen sehr warmer 2m-Temperaturen bis tief nach Ostdeutschland und Polen. Sie zieht gewissermaßen also in maskierte Form durch, lediglich der Taupunkt wird dabei deutlich sinken. Erst morgen tagsüber wird sich durch die starken Temperaturgegensätze eine neue Kaltfront ausbilden, indem sich die über dem Rest Deutschlands liegengebliebene Kaltluftmasse in Form eines flachen Keils ostwärts in Bewegung setzt.

       

      viele Grüße und gute Nacht,

      Georg

      • Diese Antwort wurde geändert vor 5 Jahren, 5 Monaten von Pistotnik.
    • #12950
      Pistotnik
      Teilnehmer

      30- bis 100-jährliches Hochwasser an Kärntner Flüssen:

       

      Gail (Quelle: Flugeinsatzstelle Klagenfurt):

       

      Drau (Quelle: ORF / privat):

       

      In Italien gab es gestern mindestens 9 Todesopfer durch die Hochwässer und die gestrigen Gewitterstürme, einige Menschen werden noch vermisst… 🙁

    • #12957
      Mammatuscloud
      Moderator

      Wow das ist wirklich beeindruckend viel Wasser!

      Danke für die ganzen Beiträge und Nachbereitung zu dieser spannenden Wetterlage

    • #12970
      Pistotnik
      Teilnehmer

      Neben dem Hochwasser hat die Kaltfront am Montagabend in Südtirol und Kärnten auch schier unglaubliche Sturmschäden hinterlassen. Nachdem viele Gebiete noch immer nur schwer oder gar nicht erreichbar sind und die Telefon- und Stromversorgung zusammengebrochen ist, wird das ganze Ausmaß der Unwetterkatastrophe erst langsam klar. Die Einsatzkräfte in Südtirol berichten, sie hätten noch nie in ihrer Geschichte so verbreitete und extreme Sturmschäden erlebt. Hier einige vorläufige Bilder des Landesfeuerwehrverbandes Südtirol:

       

       

      Ebenfalls noch in das Einzugsgebiet dieses Tiefs fällt das Schneechaos in Südfrankreich und Nordspanien, wo vorgestern und gestern ganze Regionen abgeschnitten, tausende Menschen wegen Straßensperren gestrandet und zehntausende ohne Stromversorgung waren.

      An dieses Ereignis wird man sich in vielen Teilen Europas noch lange erinnern!

      • Diese Antwort wurde geändert vor 5 Jahren, 5 Monaten von Pistotnik.
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