Antwort auf: UTA-VAIA-WB 26.10.2018

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#12910
Pistotnik
Teilnehmer

Schönen Sonntag allerseits!

Nachdem das aktuelle Tiefdruckgebiet doch alle Arten von Wetterextremen im (erweiterten) Alpenraum bringt, die man in diesem Ausmaß und vor allem in dieser gleichzeitigen Vielzahl nur selten erlebt, bringe ich hier eine Zusammenfassung der bisherigen und erwarteten weiteren Ereignisse (ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Ergänzungen werden gerne entgegengenommen!).

(1) Temperaturgegensätze:

Bemerkenswert ist vor allem die Schärfe der Frontalzone, die seit gestern (Samstag) nochmals erheblich zugenommen hat, unterstützt durch die Barrierewirkung der Alpen und durch effektive Niederschlagsabkühlung an ihrer Nordseite. So sanken die Temperaturen in der Schweiz, in Süddeutschland und Westösterreich bei Regen und späterem Schneefall in der Nacht auf heute verbreitet bis gegen 0°C, während es in Kroatien und Bosnien-Herzegowina mancherorts Tropennächte sogar im Landesinneren gab (z.B. Tmin von 21°C in Sanski Most und Banja Luka). An der Vorderseite des starken Tiefs wird mit einem „Low-Level Jet“ (rund 25 m/s = 90 km/h Mittelwind in 850 hPa) extrem warme und auch feuchte Adrialuft östlich der Alpen vorbei in die Pannonische Tiefebene geführt. Über Nacht konnte sich wieder eine dünne Kaltlufthaut südwärts ausbreiten. Unterstützt durch Sonneneinstrahlung und turbulente Erosion der Kaltluft unter dem Low-Level Jet, ist die Warmluft seit heute Früh wieder auf dem Vormarsch, doch gestaltet sich dieser zäher als die Vorhersagemodelle (vor allem die grobmaschigen) vorsehen. Aktuell (10 UTC) erstreckt sich die scharfe Luftmassengrenze mit mehr als 10K Temperaturunterschied auf wenigen Zehnerkilometern entlang der slowenisch-kroatischen Grenze und weiter quer über Ungarn:

2m Temperaturen um 11 UTC
(Quelle: Kachelmannwetter)

Sehr schön wird die Warmfront auch durch die Radiosonden-Aufstiege beidseits der Alpen von 00 UTC charakterisiert. Beispiele:


München: gesättigte Kaltluft unterhalb von 3 km Höhe, aber massive Warmluftzufuhr (man beachte die starke Rechtsdrehung des Windes mit steigender Höhe)


Zagreb: der starke, warme Low-Level Jet reicht fast bis zum Boden herab

Spannend wird die Frage, wie rasch sich die Warmluft östlich der Alpen heute tagsüber bis zum Boden durchsetzt, auch für die Wiener Turnierwertung. Aktuell habe ich große Zweifel, dass der Warmluftdurchbruch schon heute erfolgt – wahrscheinlich wird das erst morgen (Montag) der Fall sein. Die Spieler mit niedrigem Tmax – interessanterweise sind da auch viele MOSse darunter, Kompliment an die Entwickler! – dürften hier also abräumen.

Östlich der Alpen, speziell in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Ungarn, werden in den nächsten Tagen wohl reihenweise Temperraturrekorde für diese Jahreszeit fallen mit erwarteten Tropennächten und Tageshöchstwerten bis nahe 30°C. Noch unklar ist, wie weit sich der Rand dieser enormen Warmluftblase am Montag auch noch nach Österreich, Tschechien oder sogar Bayern, Ostdeutschland und Polen vorarbeiten kann.

(2) Ergiebige Stauniederschläge:

Extreme Stauniederschläge haben gestern (Samstag) an der Alpensüdseite eingesetzt, vor allem in den Karnischen Alpen, wo am Abend und über Nacht auch stundenlange Gewitterstraßen eingelagert waren. Die Station des Hydrographischen Dienstes Kärnten am Plöckenpass an der Grenze zu Italien hat vom Niederschlagsbeginn gestern Früh bis heute Früh ca. 300 mm Regen in 24 Stunden gemessen (den genauen Wert kann ich morgen nachliefern, wenn ich im Büro auf die Rohdaten zugreifen kann). Inzwischen (11:30 UTC) hält sie schon bei 343 mm Regen seit Niederschlagsbeginn (die Grafik wird laufend aktualisiert und verfällt daher allmählich):

Die Straße auf den Plöckenpass ist, so wie mehrere andere Straßen in der Umgebung, längst wegen Überflutungen und Erdrutschen gesperrt. Da der erste Tag dieses Südstau-Ereignisses bereits wesentlich mehr Niederschlag gebracht hat als erwartet und es noch zwei Tage pausenlos weiterregnen wird, scheinen die Vorbereitungen in Kärnten, wo sich die Einsatzkräfte und die Bevölkerung gegen 30- bis 100-jährliche Hochwasserwellen an den größeren Flüssen wappnen, nicht übertrieben. Die Vorgeschichte war recht trocken und der Boden konnte die ersten 50-100 mm relativ problemlos puffern, aber inzwischen rinnt fast alles sofort oberflächlich ab, und die zweite Starkregenwelle von morgen (Montag) Mittag bis Dienstagfrüh wird extrem kritisch werden.

Die anderen Stationen, die das klimatologische Niederschlagsmaximum im Luv der Karnischen und Julischen Alpen normalerweise auch abdecken, lagen bisher offenbar außerhalb der Zugstraßen der stärksten Gewitter und haben weniger Niederschlag gemessen. Vogel in Slowenien, normalerweise oft an der Spitze, hat bis heute Früh „nur“ 104 mm abbekommen. In Italien ist der höchste Wert, den ich bisher gefunden habe, 203 mm bis heute Früh in Soffranco (Region Belluno). Ich denke allerdings, dass es in Friaul einige Stationen mit ähnlichen oder sogar noch höheren Werten als am Plöckenpass geben könnte, deren Daten allerdings nicht frei zugänglich sind.

Falls jemand die Situation in Kärnten, Österreichs südlichstem Bundesland, überwachen möchte, sind hier die relevanten Karten des Hydrografischen Dienstes:
72-stündige Niederschlagssummen
Abflussmengen der Flüsse und Bäche (Farbcodierung nach statistischen Wiederkehrzeiten)

(3) Schneefall bis in tiefe Lagen:

Durch die Niederschlagsabkühlung gingen die recht ergiebigen Niederschläge an der Frontalzone nördlich der Alpen in der Schweiz, Westösterreich und Süddeutschland zunehmend in Schnee bis in tiefe Lagen über. Vor allem in Schwaben und im Süden Baden-Württembergs bildete sich vielerorts eine mehrere Zentimeter dicke Nassschneedecke. Noch ergiebigere Schneefälle, wenn auch nicht ganz bis in die tiefen Täler herab, gab es in der Schweiz (Schneehöhen heute Früh). Gemäß dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung, das ein erstes Lawinenbulletin herausgab, sind in hochalpinen Lagen im Berninagebiet bis gestern (Samstag) Abend bis zu 60 cm Neuschnee gefallen, gefolgt von bis zu 120 cm weiterem erwartetem Neuschnee bis heute Abend.
In tiefen Lagen taut die Schneedecke unter dem Vormarsch der Warmluft nun wieder ab.

(4) Ein extremes lokales Sturmereignis:

Kurz vor 03 UTC heute Morgen wurden die Feuerwehren rund um Ferlach (Kärnten, nahe der slowenischen Grenze) alarmiert. Ein plötzlicher Sturm hatte unzählige Bäume geknickt, Stromleitungen niedergerissen und die Dächer von 15 Häusern schwer beschädigt:


(Quelle beider Bilder: Bezirksfeuerwehrkommando Klagenfurt-Land)

Was war passiert? Da es in Ferlach gleichzeitig extrem warm wurde mit einer Temperaturspitze von 19°C, lag ein plötzlicher Föhndurchbruch nahe. Das Hintergrund-Windfeld war mit ca. 20 m/s (70 km/h) in 850 hPa allerdings ziemlich unauffällig und daher kaum alleine für solche extremen Böen geeignet.
Die Radardaten zeigten kurz vorher ein starkes Echo knapp jenseits der slowenischen Grenze, das um 02:40 UTC sogar ein paar Blitze hervorbrachte. Die Reste dieser Konvektionszelle haben anschließend den Gebirgskamm der Karawanken, der den Grenzverlauf bildet, überstiegen, wobei die Verdunstungskälte des in die Föhnluft fallenden Restniederschlages diese extremen Fallwinde erzeugt haben dürfte.
Das Phänomen, dass die Böigkeit von Südföhn deutlich erhöht wird, wenn Reste von Konvektion oder höheren Wolken mit fallendem Niederschlag über den Gebirgszug hinweg auf die Leeseite verfrachtet werden, ist vor allem aus der Schweiz, aber auch aus Innsbruck gut bekannt und wird dort „Dimmerföhn“ genannt. Weiter östlich in Österreich, wo Föhn meist unter antizyklonaleren Bedingungen und daher mit weniger Niederschlag oder gar Konvektion einhergeht, ist es hingegen ziemlich ungewöhnlich.
Die Station in Ferlach maß bei diesem Ereignis eine Windspitze von 129 km/h. Im Zentrum des Fallwindes dürften die Spitzen aber noch deutlich höher gewesen sein. Dass ein halber Dachstuhl von einem Wohnhaus gerissen wird, passiert typischerweise erst im Bereich von 180 bis 220 km/h. Ironischerweise hatte ausgerechnet das Gebiet um Ferlach erst im Dezember 2017 einen ähnlich schweren Föhnorkan erlebt, obwohl es eigentlich noch deutlich auf der Luvseite des Alpenhauptkamms liegt und daher bei Südwind eher Stau als Föhn abbekommt. Erfahrungsgemäß greift der „Karawankenföhn“ vor allem dann durch, wenn der Höhenwind nicht nur stark genug ist, sondern auch genug Westkomponente hat.

(5) Organisierte Gewitter:

Die Luft, die vom Mittelmeerraum Richtung Alpensüdseite und Pannonische Tiefebene geführt wird, ist nicht nur extrem warm, sondern auch ausgesprochen feucht mit Taupunkten bis nahe 20°C an der noch warmen Adria und vorhergesagten Taupunkten bis 15°C sogar im Landesinneren. Unter dem Einfluss der starken Höhenwinde könnten sich zu ungewöhnlich später Jahreszeit nochmals gut organisierte und heftige Gewitter bilden. Bereits für heute Nachmittag und Abend ging ich von der Möglichkeit einzelner Superzellen im östlichen Alpenvorland aus (sagt jedenfalls meine ESTOFEX-Vorhersage). Da sich der Vormarsch der Warmluft langsamer gestaltet als angenommen (siehe oben), habe ich inzwischen leichte Zweifel an diesem Szenario. Es folgen allerdings noch zwei weitere Tage mit Chancen. 😉
Die höchste Unwettergefahr herrscht sicher morgen Abend und Nacht im nördlichen Adriaraum, wenn die Kaltfront des Tiefdruckgebietes nordostwärts zieht und gleichzeitig von einem außerordentlich starken Vorticity-Maximum in der Höhe überlaufen wird. Unmittelbar vor der Front nimmt das Windfeld noch einmal drastisch auf 35-40 m/s (110-140 km/h) in 850 hPa zu. Die Lokalmodelle zeigen ein furchterregendes Szenario mit einer perfekt ausgebildeten Gewitterlinie, die ausgehend von den Apenninen über die Poebene und die nördliche Adria nach Slowenien und Kroatien ziehen soll. Sollte das auch nur annähernd so kommen, dann wären speziell in den küstennahen Gebieten beim Durchgang der Gewitterlinie verbreitet Orkanböen zu erwarten. Falls es durch die enorme Windzunahme unmittelbar vor der Kaltfront schon hinter den ersten Voralpen-Gebirgszügen Föhneffekte gibt, könnte so etwas Ähnliches passieren wie schon heute Früh in Ferlach und das Gebiet mit der Gefahr von Orkanböen auch in die Südalpen nach Friaul, Kärnten und Slowenien hineinreichen. Reste der Gewitterlinie können in der Nacht auf Dienstag jedenfalls noch Teile Österreichs mitnehmen und bis weit nach Ungarn ziehen.
Am Dienstag soll schließlich hinter der Kaltfront noch ein scharfer Kurzwellentrog aus Südwesten nachfolgen, der mein Chaserherz schon jetzt höher schlagen lässt. 🙂 Der Wind wird immer noch aus Süden wehen und die Luft ist zwar etwas kühler und trockener als vor der Kaltfront am Montag, zusammen mit der massiven Hebung und der deutlichen Abkühlung in höheren Luftschichten sollte es aber für ein schönes Finale der Gewittersaison mit der Aussicht auf Superzellen im Südosten Österreichs und Westen Ungarns geben.

Vier Tage Vollwetter vom Feinsten sind das jedenfalls im Alpenraum!

viele Grüße,
Georg